Radiohead, hier Sänger Thom Yorke, sind nun auch nicht mehr die Jüngsten. Aber stadtguerillahaftes Marketing, das können sie noch wie die jüngsten Racker. ©Vittorio Zunino Celotto/Getty Images
Radiohead kehren nach sieben Jahren Pause auf die Konzertbühne zurück. Toll! Noch toller ist womöglich, wie die Nachricht von der Rückkehr der Band die Welt erreichte.
Von Lenz Jacobsen
Artikelzusammenfassung
Radiohead kündigt überraschend Tour an, nach sieben Jahren Pause. Fans entdecken geheimnisvolle Flyer in verschiedenen Städten, bestätigt durch Band und offizielle Website. Tourdaten sorgfältig geplant, mit stadtguerillahafter Marketingstrategie. Bandmitglieder Thom Yorke und Jonny Greenwood in anderen Projekten aktiv, kreativer Prozess von Radiohead bleibt Geheimnis. Residence-Modell für 20 Konzerte in fünf europäischen Städten, faire Ticketvergabe nach geografischen Gesichtspunkten.
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Zumindest an diesem einen Tag darf man das ja wohl so sagen: So wie Radiohead natürlich die beste Band der Welt ist, ist Reddit natürlich der besteOrt im Internet. Weil hier regelmäßig noch Dinge ihren Anfang nehmen, statt nur weiterverwurstet zu werden. Und so war es am gestrigen Dienstagnachmittag ein User im Radiohead-Subreddit, wie die Themenforen auf derPlattform heißen, der die vermutlich größte Konzertmanie seit der Oasis-Tourauslöste, zumindest unter –wie sagt man – Geriatric Millenials. "Halbirdy" postete das Bild eines Flyers, von dem er behauptete, ihn in Kopenhagen gefunden zu haben.Darauf zu sehen: gleich vier Tourdaten von Radiohead Anfang Dezember in derStadt. "Scheint echt zu sein?", schrieb der User noch halb fragend dazu.
Ja, war echt. Denn in den kommenden Stunden sammelten andereUser in anderen Städten ähnliche Flyer auf. In einem Kulturzentrum in London etwa, und am späten Abend postete "Soft-Sandwich-7845" ein Bild aus Berlin. Er hatteneben dem Eingang der Alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel, "an den Säulen,an die Steinmauer gelehnt", die Karte mit der Radiohead-Grafik und den BerlinerDaten gefunden: 8., 9., 11. und 12. Dezember 2025. All das hätte womöglich nochein absurd aufwendiger Fake sein können. Aber dann entdeckte ein User imQuelltext der offiziellen Radiohead-Website die Tourdaten, und es gab keinHalten mehr. Um 16 Uhr am heutigen Mittwoch bestätigte auch die Band selbst alles, auf ihrer Homepage und auf Social Media.
Nun hängt es vermutlich davon ab, wie groß die eigene Liebezu Radiohead ist, was man an diesem Vorgang interessanter findet: den Fakt,dass diese Band, die manchen als letzte und perfekte Verschmelzung von Pop undAvantgarde gilt, und anderen als verheulte Gymnasiastenkombo, nach mittlerweilesieben Jahren Pause wieder auf Tour geht. Oder das stadtguerillahafte Marketing,das diese Tournee einleitet.
Denn geplant gewesen sein muss das Ganze von langer Hand. In Berlin wird Radiohead in der Uber Arena spielen, wo man sichdie Termine – erst recht, wenn es vier hintereinander sind – eher mit anderthalbJahren Vorlauf sichern muss als mit ein paar Tagen. Eine so große Tour, an der Hunderte Menschenbeteiligt sein müssen, solange geheim zu halten, ist eine Leistung, die jetzt einiges zum Knalleffekt beiträgt.
Denn es gab ja Gerüchte und Geraune über eineneue Tour, vielleicht auch nur Beschwörungen, über Monate, Jahre hinweg, immer wieder. Wie jede Fangemeinde hatten auchTeile der Radiohead-Anhänger immer sehnsüchtiger auf ein Zeichen ihrer Göttergewartet. Die Kunst, noch jeden Halbsatz derBandmitglieder auf Informationskrumen zu neuen Konzerten oder Albendurchzuexegieren –dafür vor allem waren die entsprechenden Ecken vonReddit in den vergangenen Jahren bekannt.
Nennt es kein Comeback
Denn auch wenn die jetzige Tour fast wie ein Comeback wirkt:Es war ja nicht so, als hätten die Leute von Radiohead in den neun Jahren seit ihrem bisher letzten Album A Moon Shaped Pool nichts gesagt oder veranstaltet. Vor allemSänger Thom Yorke und Gitarrist Jonny Greenwood haben ihren künstlerischenEhrgeiz reihenweise in andere Projekte fließen lassen: Die beiden spannten sichbeispielsweise mit dem Drummer Tom Skinner zu The Smile zusammen und nahmenein Album auf, dem das Kunststück gelang, gerade nicht zuerst Yorkesunverwechselbare Falsettstimme zum Glänzen zu bringen, sondern SkinnersSchlagzeug die Bühne zu bereiten. Yorke steuerte zudem ein Kurzalbum zu einemKurzfilm von Paul Thomas Anderson bei. Und zuletzt arbeiteten sie an derÜbersetzung eines ihrer Alben für die Theaterbühne mit: Hamlet Hail to the Thief. Nicht jedes neue Projekt, auch nicht jedes der jüngstenRadiohead-Alben, klang dabei noch so neu wie OK Computer im Jahr 1997 oder KidA im Jahr 2000.
Und nun? Beginnt mit der Tour auch die Arbeit an neuemMaterial? Völlig offen. Die Band macht aus ihrem kreativen Prozess schontraditionell ein Geheimnis. Radiohead haben zwar einige der mittlerweileüblichen Verkaufsstrategien der Musikindustrie mitgemacht, Remaster-Versionen von OK Computer beispielsweise oder ein Album mit älteren Liveaufnahmen. Abermit der Durchleuchtung und plattformübergreifenden Vermarktung ihres Lebens,wie es bei vielen jüngeren Popstars üblich ist, haben die Bandmitglieder nichts zu tun.
Radioheads Inszenierungenhatten auch dann noch etwas Subversives, als sie bereits die Arenen füllten.Bei Kid A verweigerten sie die Auskopplung einer Single, das Album gab es nurals Ganzes. Und bei In Rainbows konnten Fans den Preis selbst festlegen,den sie für den Download bezahlen wollten. An diese Stunts knüpft nun dieFlyer-Ankündigung der Tour gewissermaßen an: Radiohead spielt das Musikindustriespielmit, das schon, aber diese Band bewahrt sich dabei ein paar Renitenzen undGeheimnisse, eine Rest-Unverfügbarkeit für den Markt.
20 Konzerte in fünf europäischen Städten werden Radiohead alsospielen, jeweils vier in Madrid, Bologna, London, Kopenhagen und Berlin. DiesesResidence-Modell taugt ihnen, das hat Yorke mal selbst erzählt. Touren istanstrengend, die Bandmitglieder sind ja auch nicht mehr die Jüngsten. Yorkes frühererBritpop-Wuschelkopf hat sich längst in eine graue Pracht à la Mario Adorfverwandelt.
Wer dabei sein will, muss nicht nur schnell sein. Auch dasist anders als bei anderen Bands. Man kann sich ab Freitag aufeiner Website registrieren, dann werden verschiedenen Gruppen Kartenkontingentezugewiesen. Wer näher dran wohnt, hat bessere Chancen. Auf einer Europakarteist das sauber aufgeteilt: Osteuropa, Deutschland und Benelux werden Berlin bevorzugt zugeordnet, der Balkan und Griechenland sollen sich nach Bologna orientieren, undso weiter. Auf diese Art sollen Ukrainer nicht nach London fliegen müssen undSpanier nicht nach Berlin. "Unser Ziel ist es, die Tickets entsprechend derNachfrage fair und auf eine geografisch angemessene Art zu verteilen", heißtes. Ach ja, und jeder kriegt nur vier Karten pro Show, damit möglichst vieledie Band sehen können, nach all den Jahren.
Bei Reddit übrigens versuchen sie jetzt, eine Suchtruppezusammenzustellen, um die Flyer in Bologna noch zu finden. Und das ist docheine schöne Vorstellung: wie ein Grüppchen vermutlich nicht mehr ganzjungdynamischer Radiohead-Fans vorfreudig durch eine italienische Altstadtzieht, den Blick immer auf den Boden, und dabei vielleicht im Yorke-Falsett vorsich hin summt. Das würde selbst der Karma Police gefallen.